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Tour91

St. Gallen weiträumig umfahren, 1.-5. Juli 1991

Fredi / Yamaha XJ 900 F / 2’580 km / 32 Pässe (CH, F, I, A, D)

Wieder einmal leitet meine Frau eine Woche Seidenmalkurs in Davos. Für mich eine Gelegenheit, diese Zeit für eine Fahrt mit dem Motorrad durch die Alpen zu nutzen und meine neu erworbene XJ 900 ausgiebig zu testen.
Ich nenne meine Tour “St. Gallen weiträumig umfahren”, also ziemlich weit aussen um die Ostschweiz herum.
Ausrüstung: Da ich für meine Yamaha XJ 900 noch keine Koffern besitze, montiere ich wenigstens das TopCase von meiner alten XS auf den Gepäckträger; sieht nicht schön aus, aber funktioniert...

1. Tag: Montblanc

Am Montag Morgen fahre ich bei herrlichem Sonnenschein in Dübendorf los, dann auf der Autobahn über Zürich und Luzern bis Sarnen. Als erster kleiner Pass folgt nun der Brünigpass (1’007 m.ü.M.), welcher mich ins wunderschöne Berner Oberland bringt. Eine traumhafte Strasse mit erstaunlich wenig Verkehr führt erst dem Brienzersee und dann dem Thunersee entlang. In Spiez biege ich ab ins Simmental Richtung Zweisimmen und Gstaad.
Nach Gstaad überquere ich den Col du Pillon (1’546 m.ü.M.), einen hübschen kleinen Pass, der mich ins Rhônetal nach Aigle führt. Ich geniesse die Fahrt durch die Rebhänge dieser berühmten und wunderschönen Weissweingegend.
In Monthey beginnt der Aufstieg zum Pas de Morgins (1’369 m.ü.M.), auf dessen Passhöhe sich der Zollübergang nach Frankreich befindet. Leider scheint es den französischen Zöllner ziemlich langweilig zu sein, denn sie kontrollieren eine halbe Stunde lang genauestens mein ganzes Gepäck und scheinen sich dabei köstlich zu amüsieren.
Nach meiner “Freilassung” überquere ich den Col du Corbier (1’230 m.ü.M.) und lande in Cluses.


MontblancEs ist nun schon Mitte Nachmittag, ich habe mich also gründlich mit der Zeit verschätzt. Deshalb nehme ich die schnellere Autobahn Richtung Montblanc-Tunnel. Obwohl zahlreiche 40-Tönner im Schritttempo die für eine Autobahn doch recht steile Strasse hinaufkriechen, komme ich zügig vorwärts.

Am Horizont ist nun auch schon das Montblanc-Massiv sichtbar, immerhin der höchste Berg in Europa und recht imposant.

Die Strasse hinauf zum Tunnelportal ist von den 40-Tönnern böse lädiert, die Spurrinnen sind mehrere Zentimeter tief. Es ist also Vorsicht angesagt.
Direkt vor dem Montblanctunnel befindet sich die Zahlstelle und der Zoll nach Italien. Als ich in den Tunnel einfahren will, stoppt mich ein “freundlicher” Zöllner im letzten Moment und winkt mir einen grossen Tanklastzug vor die Nase. Den habe ich dann leider die ganzen 11.6 km mit ca. 40 km/h und schwarzer Dieselwolke direkt vor mir habe. Im Tunnel ist die Luft so verqualmt, dass man kaum 100 m weit sieht. Deshalb getraue ich mich auch nicht, den Tankwagen zu überholen.

Nach dem Tunnel ist auf jeden Fall nicht nur meine Lederjacke schwarz, sondern ich hinterlasse nach dem Naseputzen auch Aostatalein paar schwarze Papiertaschentücher...

Die etwa 30 km lange Strecke durch das Aostatal bis hinunter nach Aosta führt durch eine traumhafte Landschaft, das Wetter ist auch nach wie vor prächtig. Allerdings herrscht dichter Feierabendverkehr, welcher hier recht forsch abläuft. Zahlreiche wilde und gefährliche Überholmanöver gehen zum Teil nur knapp glücklich aus. Ich halte mich aus dem Getümmel raus, ich will ja nicht gleich am ersten Tag mein Motorrad hinschmeissen.

In Aosta biege ich links ab Richtung Grossen St. Bernhard, mit 2’473 m.ü.M. das Dach der heutigen Etappe.
Grosser St. Bernhard

In der rotgoldenen Abendsonne geht es durch ein unendlich langes Tal in die Höhe. Die Landschaft wird immer karger und felsiger, bis ich zum Tunnelportal gelange. Natürlich entscheide ich mich nicht für den Tunnel, sondern für die Passstrasse, welche zum Hospiz hinaufführt.
Grosser St. BernhardKurz vor der Passhöhe erreiche ich den Zoll in die Schweiz. Der See ist noch vollständig gefroren, und entsprechend kalt ist es auch.
Da hier ja die berühmten Bernhardinerhunde herkommen, schaue ich mir das Hospiz und die grossen Hundezwinger kurz an. Es ist aber nicht sehr viel los, und da ich schon spät dran bin, fahre ich sofort wieder weiter den Pass runter Richtung Wallis.

Ich bin nun heute schon etwa zehn Stunden unterwegs und ein wenig schlapp. Da nun die wilderen Strassen und Pässe überstanden sind, werde ich den Rest etwas ruhiger angehen lassen. In der Abendsonne fahre ich gemütlich das schöne Haupttal des Wallis hinauf und erreiche beim Eindunkeln ein kleines Hotel in Fiesch, wo ich vor ein paar Jahren Militärdienst geleistet habe.
Nach einem kleinen Nachtessen falle ich ziemlich kaputt ins Bett.

Bilanz 1. Tag:
11 Stunden Fahrt, 694 km, 5 Pässe

2. Tag: Quer durch die Schweiz

Nufenenpass
Es geht früh aus den Federn, denn heute habe ich eine recht intensive Etappe vor mir: Von Fiesch im Wallis fahre ich quer durch die Schweizer Alpen nach Davos in Graubünden, wo ich bei meiner Frau, die dort ja ihren Kurs absolviert, im Hotel übernachten will. Auf diesem Weg will ich etwa 500 km durch die Berge hinter mich bringen und dabei sechs 2’000er Alpenpässe überqueren.

Nufenen PasshöheHeute Morgen sieht man kein Wölkchen am Himmel; das wird wohl ein herrlicher Tag...

Bei schönem Wetter und frischer Luft fahre das Oberwallis hinauf bis nach Ulrichen; dort biege ich rechts ab auf den Nufenenpass (2’431 m.ü.M.). Der Nufenen ist die höchste ganz in der Schweiz liegende Passstrasse, und auch die neueste. Sie wurde erst 1969 eröffnet und führt vom Wallis ins Bedretto, einem der schönsten Täler im Tessin. Die Strasse durch das Bedretto ist mit seiner kargen Landschaft und den kleinen Tessiner Dörfern sehr romantisch, aber auch sehr holprig. Ich begegne bis hinunter nach Airolo kaum einem Auto und komme - nachdem ich festgestellt habe, dass die holprige Strasse mit 80 km/h besser zu befahren ist als mit 50 km/h - recht zügig vorwärts.

TremolaOberhalb Airolo suche ich die Einfahrt in die alte Gotthard-Strasse, die sogenannte Tremola. Diese Einfahrt ist nicht ganz einfach zu finden, die Tremola wird aber - entgegen anderen Gerüchten - immer noch instand gehalten. Die ganze Strasse ist durchgehend mit Kopfsteinen gepflastert, sehr eng und sehr holperig, und da und dort liegt in den Kurven auch etwas Sand. Es lohnt sich nicht, auf dieser Unterlage zu hetzen.
Unvorstellbar, dass sich noch in den 60er Jahren der ganze Nord-Süd-Reiseverkehr mit Wohnwagen, VW Käfern und Reisebussen über diese Strasse quälte
.
Bald erreiche ich die Gotthard-Passhöhe (2’091 m.ü.M.). Hier ist es um diese Zeit noch recht kalt, aber ein heisser Kaffee und eine Camel retten mich.


Luzzone StauseeFrisch gestärkt geht es jetzt runter nach Andermatt und von dort gleich wieder hoch zum Oberalppass (2’046 m.ü.M.), über den ich nach Disentis in Graubünden gelange. Dort beginnt der Lukmanierpass (1’915 m.ü.M.), der mich gleich wieder ins Tessin bringt. Die Strassen von Oberalp und Lukmanier sind inzwischen tüchtig ausgebaut und modernisiert worden. Solche Strecken mag meine XJ 900, ich komme zügig voran und fahre die beiden Pässe ohne Pause durch.
In der Abfahrt vom Lukmanier entscheide ich mich für einen Abstecher nach Campo Blenio, einem kleinem Dorf, das nur durch einen Verbindungstunnel erreichbar ist. Hinter dem Dorf liegt der Luzzone-Stausee, dessen gewaltige Betonmauer imposant das Tal beherrscht.
Nach einer kurzen Pause geht es zurück auf die Lukmanierstrasse, welche ins Tessin nach Biasca hinunterführt. Jetzt noch ein kleines Stück flache Strasse bis nach Bellinzona, wo die Strecke zum San Bernardino abzweigt.

San Bernardino PasshöheVon Bellinzona Richtung San Bernardino ist ganz neu eine Autostrasse gebaut worden, welche anfangs schnurgerade durch das Tal geht. Am Beginn der Steigung zum Pass führt die Strasse über eindrückliche, in die Luft hinaus gebaute Kehren zum Tunnelportal hinauf.

Kurz vor dem Tunnelportal zweigt die alte Strasse zum San Bernardino-Pass (2’065 m.ü.M.) ab. Nach unendlich vielen engen und schmalen Kurven ist es auf der Passhöhe Zeit für ein warmes Mittagessen, denn ich habe am Nachmittag noch einiges vor mir.

Nach ein paar Kilometern gelange ich rechts auf die Strasse zum Splügenpass (2’113 m.ü.M.), wo sich nahe der Passhöhe der Zoll nach Italien befindet. Der Splügen ist eine der ältesten Passstrassen in den Alpen, und man bekommt es auch schnell zu spüren.
Nach einer kurzen Pause geht es weiter hinunter Richtung Chiavenna. Diese Strecke ist etwas vom Eindrücklichsten, was ich mit dem Motorrad in den Alpen je gefahren bin: Die Stadt Chiavenna liegt auf 330 m.ü.M., man legt also fast 1’800 Höhenmeter innert etwa 30 km zurück. Das erste Stück der Abfahrt führt durch eine beinahe senkrechte Felswand hinunter, mit alten Galerien aus Holz und einer schmalen, enorm holprigen und steilen Strasse mit sehr engen Haarnadelkurven. Dies geht mir tüchtig in die Arme. Mit der grossen Maschine mit ihren 240 kg ist wohl in Zukunft eher die Fahrt von unten nach oben angesagt.
Hinter Chiavenna biege ich links ab und komme gleich wieder zurück in die Schweiz. Trotz des schönen Wetters hat es kaum Verkehr. Ich fahre fast alleine das Bergell hoch. Die Strasse führt in immer steileren und engeren Kurven hinauf zum Malojapass (1’815 m.ü.M.).

Jetzt habe ich das Engadin erreicht; nach inzwischen sieben Pässen ist die Fahrt den Engadiner Seen entlang eine richtige Erholung. Das Wetter könnte nach wie vor nicht besser sein. Ich geniesse die Bummelfahrt das Tal hinunter bis nach La Punt. Dort zweigt links die Strasse zum Albulapass (2’315 m.ü.M.) ab. Die Albulastrecke ist eine der letzten urtümlichen Passstrassen in der Schweiz. Die Strasse ist schmal und sehr holperig, aber dafür herrscht Anhänger- und Brummi-Fahrverbot; man ist also für einmal von Lastwagen und auch von Wohnwagen mit gelben Nummernschildern verschont.
Unten bei Tiefencastel finde ich die Einfahrt ins Wiesental und komme ziemlich geschafft, aber doch zufrieden in Davos an.

Bilanz 2. Tag:
10 Stunden Fahrt, 504 km, 8 Pässe.

3. Tag: Italienische Felsen

Nach einem ausgiebigen Frühstück mit meiner Frau und ihren Seidenmal-Kolleginnen mache ich mich auf den Weg. Mein Ziel heute ist das Südtirol, aber natürlich nicht auf dem direkten Weg.
Der Aufstieg zum Flüelapass (2’353 m.ü.M.) geht schnell und locker, denn ich bin ausgeschlafen, die Strasse ist menschenleer und das Wetter zwar kühl, aber sonnig. Auf der Passhöhe ist noch alles geschlossen, also fahre ich nach einer Zigarettenpause gleich weiter Richtung Engadin.
Ofen Passhöhe
Im Engadin ist es noch ziemlich kalt. Ich beeile mich also und biege in Zernez ab zum Schweizer Nationalpark und zum Ofenpass (2’149 m.ü.M.). In dieser Landschaft bekomme ich immer wieder Gänsehaut: eine traumhafte Berggegend mit Lärchenwäldern und schroffen Felsen, in der man sich kaum satt sehen kann. Die Strasse ist gut ausgebaut und übersichtlich, ich komme zügig vorwärts.
Vom Ofenpass gelangt man in einer schönen und langgezogenen Abfahrt ins Münstertal. Hier wird ein besonderer rätoromanischer Dialekt gesprochen, den sogar die übrigen Bündner nur schwer verstehen.
Umbrail Passhöhe
In der engen Häuserschlucht von Santa Maria zweigt die Strasse rechts ab zum Umbrail. Ein grosser Teil der Strecke ist unbefestigte Naturstrasse, die durch ein wunderschönes Bergtal führt. Ausser ein paar Schafherden mit ihren Hirten treffe ich kaum jemanden. Die Strasse wird im Sommer regelmässig mit Wasser gespritzt, damit sich die Staubwolken in Grenzen halten.
Der Umbrailpass ist mit 2’502 m.ü.M. eigentlich der höchste Pass in der Schweiz, ist aber eben nur ein halber Pass. Die Passhöhe befindet sich nur 30 Meter von der italienischen Grenze weg, anschliessend mündet die Strasse in die Pass-Strecke von Bormio zum Stilfserjoch.

StilfserjochVon der Einmündung der Umbrailstrasse bis zur Passhöhe des Stilfserjochs (2’757 m.ü.M.) sind es jetzt nur noch drei Kilometer zu fahren, dann habe ich den höchsten Pass der Alpen geschafft. Jetzt habe ich eine Camel verdient, aber zuerst kommt ein kleiner Frust: Mein Zippo-Feuerzeug geht nicht, anscheinend ist die Luft hier zu dünn. Beim Motorrad nennt man das “abgesoffen”. Gott sei Dank hat es aber hier oben immer genügend Biker, also kann ich problemlos etwas Feuer schnorren.

Ein Blick über die Kante Richtung Südtirol offenbart mir, was mir als nächstes bevorsteht, nämlich Kurven, Kurven, Kurven. Diese berühmten 48 Kehren nehme ich nun in Angriff. Mit der XJ 900 geht auch alles viel leichter als vor drei Jahren mit meinem XS 750-Dampfschiff.

ReschenseeNach der Abfahrt gelange ich nach Prad am Stilfserjoch und wende mich nach links Richtung Reschenpass (1’504 m.ü.M.). Nach dem kurvigen Stilfserjoch kommt mir diese Strasse wie eine Autobahn vor. Die Strecke ist auch ziemlich langweilig, immer gleich steil und immer die gleichen weitgezogenen Kurven. Es herrscht auch ein recht dichter Touristenverkehr, dafür kann ich mich etwas von den Kurvenstrapazen erholen.

Eindrücklich ist allerdings dann der Reschensee, aus dem der Kirchturm eines im Stausee versunkenen Dorfes ragt - recht unheimlich. Man sagt, dass die Glocke der Kirche jedesmal läuten soll, wenn jemand im See ertrunken ist. Möglich, aber ich probier’s mal lieber nicht...


Auf der Passhöhe habe ich auch gleich die Grenze nach Österreich überquert und bummle nun das Inntal hinunter Richtung Landeck. Ich versuche, den Abzweiger ins Pitztal zu finden, was mir im zweiten Versuch auch gelingt.
Das Pitztal ist noch richtig urtümlich, eine schöne Abkürzung Richtung Ötztal, mein nächstes Ziel.
Bei immer noch herrlichem Wetter fahre ich dann das Ötztal hinauf Richtung Timmelsjoch. Das Tal ist anfangs breit und voller grüner Wiesen, wird aber langsam immer enger und steiler.
Ich erreiche den Sportkurort Sölden; hier ist es mir aber zu touristisch belebt, also nichts wie hindurch und weiter. Nun wird die Strasse viel kurviger, ist aber wunderschön ausgebaut und in Stand gehalten; daher ist sie wohl auch nicht gratis zu benützen...

Timmelsjoch PasshöheKurz vor der Passhöhe des Timmelsjoches (2’509 m.ü.M.) folgen nacheinander die Zahlstelle, der Zoll nach Italien und die Einfahrt in den Gipfeltunnel.
Im Tunnel wird mir etwas unheimlich, denn er ist unbeleuchtet, und ich habe immer irgendwie das Gefühl, jetzt berühre ich im Dunkeln gleich die Tunnelwand. Völlig verkrampft auf dem Motorrad sitzend ziele ich auf den hellen Punkt am Horizont, den ich am Schluss Gott sei Dank auch treffe.
Doch der nächste Schreck folgt sogleich: Bei der Ausfahrt aus dem dunklen Tunnel blendet die Sonne so stark, dass ich praktisch blind ins Freie fahre. Und plötzlich ist keine Strasse mehr da! Nach einer kräftigen Bremsung stelle ich fest, dass ich kaum zehn Meter vor einem tiefen Abgrund stehe, während die Strasse hinter mir bereits rechts abgebogen ist. Ich bekomme nachträglich das Zittern, und bis zum Verschwinden der Gänsehaut beruhige ich mich mit einer Camel Filter.
Als meine Nerven wieder unter Kontrolle sind, stürze ich mich in die Abfahrt nach St. Leonhard. Die Strasse wird immer schmaler und schlängelt sich zwischen imposanten roten Felswänden und Schluchten ins Südtirol hinunter. Aber nach meinem Schreck bin ich noch ein wenig beeindruckt und entsprechend zurückhaltend.

Jaufenpass Diese Zurückhaltung verliere ich allerdings in dem Moment, als ich von St. Leonhard her den Jaufenpass (2’094 m.ü.M.) in Angriff nehme. Ein herrliches Geschlängel von Tausenden kleiner Kurven über die ganze Strecke bis zur Passhöhe - phantastisch. Für diese Art Strassen ist die XJ 900 gebaut, ich könnte diese Strecke zehn Mal nacheinander fahren...
Da es aber schon gegen Abend geht, schlage ich mir diese Idee aus dem Kopf und mache mich doch lieber auf den Weg auf der anderen Seite runter Richtung Sterzing.

Penser JochKurz vor Sterzing biege ich rechts ab und brause die schmale Strasse zum Penser Joch (2’211 m.ü.M.) hinauf. Zuerst fährt man alles im Wald, die letzten paar Kurven führen dann aber über die grünen Weiden.
Die Passhöhe liegt auf einem einsamen Bergkamm, sodass man auf beide Seiten einen unendlichen Weitblick hat. Ich habe mal gelesen, dass damals im Südtiroler Freiheitskampf hier oben die letzten Widerstandszellen gesessen haben sollen. Wenn man in die Runde schaut, kann man sich das irgendwie recht gut vorstellen...

Sarntal
Jetzt noch das Sarntal runter - bis Sarnthein eine romantische, kurvige Strecke, die meist durch den Wald führt. Nach Sarnthein taucht die Strasse dann urplötzlich in ein enges Felsental hinunter. Es wird immer steiler und enger, die Felswände rücken immer näher zusammen. Auf den Felsen drohen mehrere düstere Burgen.
Jetzt kommt ein erster Tunnel in Sicht, mittendrin macht die Strasse eine scharfe Kurve, gleichzeitig ist auch überraschend der Asphalt stark aufgerillt. Sofort merke ich, was meine XJ gar nicht mag. Schwankend versuche ich den Tunnelwänden auszuweichen, dann habe ich glücklich den Ausgang geschafft.
Doch gleich folgt der nächste Tunnel, insgesamt sind es ganze 24 Tunnels. Kaum ist der letzte Tunnel hinter mir entschwunden, befinde ich mich zu meiner Überraschung bereits in der Stadt Bozen.

Ich quäle mich durch Bozen und finde die Strasse Richtung Trento, von der ich in Auer links abbiege nach Cavalese. Von hier führt das kleine Strässchen des Lavazejoches (1’805 m.ü.M.) hinüber nach Birchabruck, wo ich wie vor drei Jahren bei “meiner” Oma übernachten will. Leider ist sie dieses Mal bereits ausgebucht, daher suche und finde ich Unterschlupf in der Dorfkneipe, deren Wirtin wie eine 100jährige Zigeunerin aussieht.

Mich kann heute nichts mehr erschrecken, also nehme ich einen Viertel Rot und verschwinde in die Federn.

Bilanz 3. Tag:
10 Stunden Fahrt, 486 km, 9 Pässe

4. Tag: Alpine Ampeln

Nach dem reichlichen Frühstück mache ich mich reisefertig und will eigentlich los. Die Wirtin ist allerdings so begeistert, dass ein Schweizer Motorradfahrer bei ihr übernachtet hat, dass sie zum Abschied ein paar Schnäpse mit mir trinken will. Ich lehne dankend ab, da ich ja mein Motorrad im Griff behalten möchte. Am Schluss lasse ich mich doch zu einem kleinen Obstler breitschlagen - na ja, wird schon gutgehen...

Karerpass PasshöheEin bisschen verspätet mache ich mich nun doch auf, denn das Wetter ist herrlich, und die Dolomiten locken.
Ich fahre los Richtung Karerpass, nach kaum fünf Minuten bleibe ich aber bereits wieder hängen. Am Strassenbelag auf der ganzen Strecke zum Karerpass (1’753 m.ü.M.) wird fleissig gearbeitet; daher hüpfe ich gegen eine Stunde lang nur von Ampelkelle zu Ampelkelle.
Durch die Baustelle bin ich schon etwas mit meinem Fahrplan im Rückstand, deshalb muss auf der Passhöhe eine kurze Camel-Pause reichen.

Passo PordoiIch sehe jetzt bereits die ersten Dolomitengipfel. Der Anblick ist so atemberaubend, dass es mich sofort weiter zieht.

Als erstes entscheide ich mich für den Passo Pordoi (2’239 m.ü.M.), den ich bisher noch nie bei schönem Wetter gesehen habe.
Tatsächlich habe ich Glück, das Wetter ist phantastisch. Endlich kann ich - im Gegensatz zum letzten Mal - auch die Dolomiten richtig sehen. Diese senkrechten Felsen sind schon unheimlich beeindruckend, man kommt sich darunter wirklich wie ein kleines Würstchen vor.

Nachdem ich noch ein wenig auf der Passhöhe herumgelungert bin und die Sonne genossen habe, komme ich gerade rechtzeitig zum Motorrad zurück, um zu verhindern, dass ein kurzsichtiger Busfahrer meine Yamaha über den Haufen fährt. Mein Gott, das wäre ja das Allerbeste gewesen, und erst noch an einem sehr praktischen Ort...
Grödnertal
Als nächstes überquere ich den Passo di Campolongo (1’875 m.ü.M.) und brause das Grödnertal hinunter. Doch plötzlich fängt mein Motorrad an zu stottern. Aus lauter Freude, dass meine XJ 900 noch unversehrt ist, und vor Begeisterung über die schöne Strecke durchs Tal hinunter habe ich doch total vergessen, dass ich ja mit dem Sprit schon längst auf Reserve bin. Ich zittere mich - von kräftigen Aussetzern begleitet - ein paar Kilometer weiter und schaffe es gerade noch glücklich bis zur rettenden Tankstelle. 21.8 Liter eingefüllt, 22 Liter haben Platz - gerade noch gut gegangen. Aus Dankbarkeit mache ich im Tankstellencafé eine ausgiebige Mittagspause.

Hinter St. Lorenzen und Bruneck suche ich die Einfahrt zum Staller Sattel. Sie taucht jedoch so überraschend auf, dass ich beim ersten Mal locker daran vorbeibrause.
Eine wunderschöne, breite Strasse führt durch das sonnige Tal, dessen Häuser aussehen wie aus einem Heimatfilm. Dann jedoch wird die Strasse immer schmaler und verschwindet schliesslich im Wald. Ich komme an einem kleinen See vorbei und habe schon das Gefühl, ich sei irgendwie falsch gefahren, da stehe plötzlich mitten im Wald überraschend vor einer roten Ampel.
Staller Sattel mit AmpelDie Schilder klären mich auf, dass die Passstrasse nur im Einbahnverkehr befahren werden kann, nämlich immer von x.30 bis x.45. Natürlich ist es jetzt fünf vor, es ist also Warten angesagt. Zum Glück gibt es hier eine kleine Kneipe und darum auch erneut eine Pause.
Pünktlich um halb drei sitze ich wieder auf dem Motorrad, um den Wechsel auf Grün nicht zu verpassen und nicht eines der inzwischen auch wartenden Wohnmobile vor die Nase zu bekommen.
Alles klappt wunderbar. Die Strecke ist wirklich sehr eng, aber mit dem Bike herrlich zu fahren, besonders wenn nicht mit Gegenverkehr zu rechnen ist. Na ja, für Radfahrer gelten die Regeln wohl nicht, denn es kommt öfters mal einer entgegen.
Auf der Passhöhe des Staller Sattels (2’048 m.ü.M.) befindet sich auch gleich der Zoll nach Österreich, danach folgt eine wunderschöne Bummelstrecke durch die Wälder mit vielen geschwungenen Kurven. So gelange ich durch das Deferegger und das Isel Tal bis nach Lienz.

Grossglockner PasshöheRichtung Grossglockner scheint es nun aber mit dem schönen Wetter doch vorbei zu sein. Es ist ziemlich kühl und neblig, aber wenigstens trocken. Und auf der Hochalpenstrasse sind heute leider auch Dutzende von belgischen Reisebussen unterwegs, deren Fahrer sich wohl vor dem Abgrund fürchten und deshalb mitten in der Strasse fahren. Nach einem gehörigen Stück Überhol-Arbeit erreiche ich trotzdem glücklich den Grossglockner (2’571 m.ü.M.).
Grossglockner
Hier oben liegt noch ziemlich viel Schnee, und es ist auf der Edelweiss-Spitze recht kalt und windig. Trotzdem muss eine Pause drin liegen. Der heisse Kaffee tut gut, und das Strassengeschlängel, das auf der anderen Seite runterführt, macht mich gierig auf die Weiterfahrt.

Die Abfahrt ins Tal ist dank der gut ausgebauten - wenn auch mautpflichtigen - Strasse ein Genuss. Von Kurve zu Kurve wird es immer ein bisschen wärmer, und unten in Zell am See ist es dann auch wieder richtig Sommer.

Ich beschliesse, zum Übernachten wieder den Gasthof Grübl in Wald im Pinzgau aufzusuchen, denn Frau Kaiser hat bestimmt wieder Platz für mich.
Die Strecke von Zell am See bis nach Wald im Pinzgau ist immer noch sehr langweilig, sie kommt mir diesmal aber noch doppelt so lang vor wie vor drei Jahren.
Endlich komme ich im Gasthof Grübl an. Frau Kaiser erkennt mich doch tatsächlich auch nach drei Jahren wieder: “Sie sind doch der, welcher mir damals den Hotelschlüssel zurückgebracht hat”.
Abends bleibe ich mit ein paar Einheimischen bei Bier und Schnäpsen etwas lange hängen. Irgendwann flüchte ich dann aber doch ins Bett, sonst fällt die morgige Etappe noch aus.

Bilanz 4. Tag:
9 Stunden Fahrt, 430 km, 5 Pässe

5. Tag: Pass-Strässchen

Frau Kaiser hat inzwischen eine richtige Kaffeemaschine angeschafft. Es gibt also zum Frühstück nicht mehr wie vor drei Jahren einen dünnen sofortlöslichen Kaffee, sondern einen richtig Richtigen.

Da in der Nacht ein tüchtiges Gewitter niedergegangen ist, sind die Strassen am Morgen noch nass. Dies merke ich bei der Fahrt Richtung Gerlospass (1’507 m.ü.M.), als ich auf einer kleinen Holzbrücke in einem Waldtobel auf dem glitschigen Holz ausrutsche und gleich eine halbe Drehung vollführe. Zum Glück geht es ohne Sturz aus, und ich bin nun auch richtig wach.
 
AchenseeIm Zillertal kommt dann doch wieder die Sonne hervor, und entlang dem himmelblauen Achensee ist das Motorradfahren ein richtiger Genuss. Auf dem Achenpass (941 m.ü.M.) biege ich ab Richtung Lenggries, eine wunderschöne Zwischenverbindung nach Garmisch-Partenkirchen. In Ettal, wo das berühmte Kloster aus den Kreuzworträtseln steht, zweigt die Strasse zum Ammer-Sattel (1’118
m.ü.M.) ab, auf dessen Passhöhe sich auch der Zoll nach Österreich befindet.Vorarlberg


 


Ich wähle die Strecke durchs Lechtal. Dieses Strässchen verläuft über viele Kilometer unter den Bäumen, durch welche die Sonne durchscheint. Man hat das Gefühl, man fährt unter einem grünen Baldachin.

FurkajochNach einiger Zeit erreiche ich den Hochtannenpass (1’679 m.ü.M.) und finde in Au auf Anhieb die Abzweigung zum Furka-Joch (1’769 m.ü.M.), einem hübschen kleinen Pässchen, das mich nach Rankweil und zurück an die Schweizer Grenze führt.

Wieder in der Schweiz wähle ich die Route über Appenzell, Wattwil und Rüti. Hier fällt mir auf, wie stur und lehrmeisterhaft die Schweizer Autofahrer manchmal sind. Das habe ich die letzten knapp 2’000 km ganz anders erlebt...
Etwas kaputt und reif für ein heisses Bad komme ich am Abend zu Hause in Dübendorf an. Die XJ 900 hat gehalten, was ich mir von ihr versprochen habe. Ich habe das Gefühl, ich habe “mein” Motorrad gefunden.

Bilanz 5. Tag:
8.5 Stunden Fahrt, 464 km, 5 Pässe.

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