BuiltWithNOF
Susanne Banner Fredi Banner
Tour2000

Millenniums-Tour, 3.-14. Juli 2000

Susi + Fredi / Honda VT 600 Shadow + Yamaha XJ 900 F / 2’196 km / 17 Pässe (CH, I, A, D)

Zur Feier des Jahres 2000 haben wir uns gleich zwei Wochen Motorradferien reserviert, dafür für einmal nicht mit einer improvisierten Reise, sondern diesmal vom ersten bis zum letzten Tag geplant. Erstmals haben wir alle Übernachtungen vorgängig telefonisch reserviert oder über das Internet gebucht.
Leider ist der Wetterbericht für die nächsten paar Tage ziemlich schlecht, aber “bei schönem Wetter kann’s ja jeder”.
Mal sehen, wie es klappt...

1. Tag: Ab ins Tessin

Am Montag Vormittag fahren wir - Susi mit ihrer 600er Honda Shadow und ich mit meiner Yamaha XJ 900 - bei bedecktem Himmel, aber wenigstens bei trockenem Wetter in Fällanden los. Zuerst geht es über Rapperswil und den Seedamm nach Rothenthurm im Kanton Schwyz, wo die erste Kaffeepause angesagt ist.
Frisch gestärkt fahren wir über die Axenstrasse dem Urnersee entlang Richtung Göschenen und die Schöllenenstrasse hoch nach Andermatt. Ein Blick Richtung Gotthardpass lässt uns Schlimmes ahnen, denn dicke, schwarze Wolken hängen über der Passhöhe. Je näher wir dieser kommen, desto düsterer wird es. Vorläufig bleibt das Wetter jedoch noch trocken.
Kaum auf der Gotthard-Passhöhe (2’091 m.ü.M.) angekommen, bricht ein heftiges Gewitter los. Deshalb verzichten wir auf unseren Plan, die alte Tremola-Strasse zu benützen, und fahren vorsichtig die neue Passstrasse hinunter Richtung Airolo. Bald hängen wir hinter einem grossen Reisecar fest; der Regen ist jedoch so heftig und die Strasse so glitschig und überschwemmt, dass wir es nicht wagen, den Car zu überholen. Als wir in Airolo ankommen, sind wir bis auf die Haut durchnässt und haben wirklich keinen trockenen Faden mehr am Leib.
Sofort keimt jedoch wieder Hoffnung bei uns auf, denn in Airolo ist es recht warm, und Richtung Süden sieht man den blauen Himmel. Deshalb nehmen wir jetzt auch sofort die Autobahn nach Lugano, denn wir wollen unsere Freunde Agnes und Werner Fischer in Agno besuchen und dort in ihrem Wohnwagen am Luganersee übernachten. Tatsächlich kommt schon bald die Sonne hervor, und es wird schön warm.
Wie Hemden an der Wäscheleine hängen wir auf unseren Motorrädern und lassen uns auf der Autobahn durch den herrlich warmen Wind trocknen.
So kommen wir auch in einem erträglichen Zustand in Agno an und lassen uns gleich vom gelernten Koch Agnes mit einem guten Nachtessen verwöhnen.

Bilanz 1.Tag:

6 Stunden Fahrt, 245 km, 1 Pass.

2. Tag: Sturm und Hagelschlag

Für den zweiten Tag haben wir absichtlich nur eine Strecke von knapp 100 km ins Bergell eingeplant, da wir mit unseren Freunden ausgiebig frühstücken und erst gegen Mittag starten wollen.
Wie jedes Mal, wenn wir bei den Fischers zu Besuch sind, ist es ziemlich schwierig, wieder weg zu kommen, da sie uns wohl am liebsten gleich für immer da behalten möchten.
Gegen Mittag wird es immer düsterer, und schwarze Wolken ziehen auf. Wir können unsere Freunde überzeugen, dass wir jetzt los müssen, bevor es zu regnen beginnt, und starten bei noch trockenem Wetter über Lugano und Gandria in Richtung Comersee und Italien.

Dem westlichen Ufer des Comersees entlang herrscht enorm viel Verkehr, und wir hängen auf der schmalen und kurvigen Strasse hinter einem Lastwagen fest. Nach einigen Kilometern mit höchstens 40 km/h wird es uns zu blöd, und wir legen in Dongo in einem kleinen Strassencafé eine Pause ein. Die Motorräder können wir wunderbar auf der anderen Strassenseite parkieren und haben sie so immer im Blick. Kaum haben wir unseren Espresso bestellt, beginnt das Personal plötzlich hektisch alle Tische abzuräumen und die Gäste ins Innere des Lokals zu schicken. Auf unsere Frage, was denn los sei, zeigt ein Kellner auf den See hinaus, wo wir eine dichte weisse Wolkenwand sehen, welche rasend schnell auf uns zu kommt.
Kaum zwei Minuten später geht ein enormes Gewitter mit haselnussgrossen Hagelkörnern und kräftigem Sturm nieder. Mit Grausen hören wir, wie der Hagel auf die Tanks unserer Motorräder donnert und hoffen, dass keine Beulen und Lackschäden zurückbleiben. Innert kürzester Zeit liegen mehrere Zentimeter Hagelkörner wie Schnee auf der Strasse, und das Unwetter macht nicht den Eindruck, dass es gleich wieder aufhören würde.
Immerhin sind wir dank unserer erzwungenen Pause schon unter Dach; diesem Hagel hätten wir nicht während der Fahrt begegnen wollen. Nach gut zwei Stunden und etlichen Espressos und Mineralwassern wagen wir uns wieder auf die Strasse. Da diese so stark mit Dreck und Laub bedeckt ist, dass man kaum den Asphalt sieht, gehen wir das Ganze recht vorsichtig an.
Hotel Corona
Über Chiavenna fahren wir nun das Bergell hinauf, über die Grenze in die Schweiz zurück und bis nach Vicosoprano ins Hotel Corona, wo wir für zwei Nächte reserviert haben.
Aus dem Radio erfahren wir dann am Abend, dass der Hagelsturm in Agno den Campingplatz, auf dem wir letzte Nacht übernachtet haben, arg verwüstet hat, mit umgeworfenen Wohnwagen und entwurzelten Bäumen - da haben wir ja wohl mächtig Glück gehabt!


Bilanz 2.Tag:

6 Stunden “Fahrt”, 96 km

3. Tag: Pause im Bergell

Soglio
Während es auf der Alpennordseite in Strömen regnet, haben wir hier das herrlichste Wetter für einen ruhigen Tag. Nach dem Frühstück beschliessen wir, mit nur einem Motorrad das Dörfchen Soglio zu besuchen, wohin ein kleines, gewundenes Strässchen hinaufführt.
Soglio liegt auf einer Sonnenterrasse auf fast 1100 m.ü.M. und hat ein besonders mildes Klima, sodass auf dieser Höhe sogar Olivenbäume blühen. Hier steht auch der berühmte Salis Palast aus dem 17. Jahrhundert, ein eindrückliches Bauwerk, welches das kleine Dorf dominiert.
Leider wissen die Gaststätten hier auch, was so ein Besuch wert ist, denn ein normaler Kaffee kostet hier das Doppelte wie sonst im Bergell. Zudem herrscht in Soglio ein ziemlicher Touristentrubel, also flüchten wir bald wieder ins Tal.
Hotel Bregaglia

Für das Abendessen haben wir das Hotel Bregaglia in Promontogno ausgesucht, wo wir auch schon übernachtet haben. Es ist für seine Küche berühmt ist und wird deshalb auch von vielen Italienern aus Chiavenna regelmässig besucht.
Wir bestellen die legendären “Pizzoccheri” und trinken einen guten Veltliner “Zigeunertrunk” dazu.
Satt und zufrieden machen wir uns auf die Rückkehr nach Vicosoprano; nach einem Spaziergang durch das Dorf geht es in die Federn, denn für den nächsten Tag ist wieder eine grössere Etappe geplant.






Bilanz 3. Tag
:
nur 17 km mit der Yamaha

4. Tag: Zollfrei durch den Stollen

Der Tag im Bergell hat gut getan, und so sind wir frisch gestärkt für die heutige Etappe. Zuerst geht es wieder das Tal hinunter über Chiavenna zum Comersee und dann das Veltlin hinauf. Obwohl es anscheinend in ganz Europa regnen soll, haben wir hier das herrlichste Wetter und bummeln gemütlich durch das Tal. Noch vor dem Aprica-Pass biegen wir links ab Richtung Tirano, dann in die Schweiz und die Berninastrasse hinauf. Kurz vor der Passhöhe zweigt die Strasse ab über die Forcola di Livigno (2’315 m.ü.M.) nach Livigno in Italien. Livigno ist ein Zollfreigebiet, da es im Winter nur über die Schweiz erreichbar ist. Susi will unbedingt die Preise in einem der unzähligen Schnapsläden überprüfen, und kommt triumphierend mit einer Literflasche Chivas Regal zurück; nach ihrer Meinung das ideale Getränk für eine Motorradtour...

Tunnel LivignoDie weitere Fahrt führt dem Lago di Livigno entlang, einem Kraftwerk-Stausee, welcher zwar in Italien liegt, aber von den Engadiner Kraftwerken (EKW) betrieben wird, also von einer Schweizer Gesellschaft. Um das ganze Jahr zu "Ihrem" Kraftwerk fahren zu können, haben die EKW zu jener Zeit einen einspurigen Werktunnel angelegt. Er ist 3.6 km lang und liegt vollständig in Italien. Weil der Tunnel heute noch den Engadiner Kraftwerken gehört, also eine Privatstrasse ist, kostet die Durchfahrt natürlich auch was... dafür ist die Fahrt auf der schmalen Strasse recht eindrücklich, wenn auch - da ständig Wasser von der Decke tropft - etwas feucht.

Beim Ausgang aus dem Tunnel befindet sich gleich der Zoll in die Schweiz und die Strasse zum Ofenpass (2’149 m.ü.M.), welcher mitten im Schweizer Nationalpark liegt. Wir überqueren den Pass und gelangen ins Münstertal.

Crush AlbaIn Santa Maria wird die Hauptstrasse ausgebessert; da die Durchfahrt enorm eng ist, wurde eine provisorische Umfahrungsstrasse gebaut mit dickem Rollkies, welcher für Motorräder nicht sehr angenehm ist. Vor uns haben wir einen deutschen Kleinbus, beschriftet mit ‘Freiwillige Feuerwehr’. Der Fahrer fährt Schritttempo, bei jedem Überholversuch macht er jedoch sofort einen Schwenker nach links, was auf dem Kies nicht ungefährlich ist. Mit der 900er schaffe ich ihn trotzdem, Susi mit ihrer Shadow hat jedoch keine Chance, landet zweimal fast neben der Strasse und ist entsprechend sauer. Ich setze mich deshalb direkt vor den Bus, damit er nicht wieder beschleunigen kann, und Susi kann ihn überholen. In ihrer Wut gibt sie direkt vor dem Bus so stark Gas, dass der breite Hinterreifen den Kies gegen die Front des Autos prasseln lässt... jetzt hauen wir aber besser ab!
Es ist sowieso Zeit für eine Mittagspause; in Santa Maria, an der engsten Stelle des Dorfes, befindet sich das Hotel Crusch Alba, bekannt als das älteste Gasthaus im Münstertal. Die Eingangstüre ist so niedrig, dass man fast auf Knien ins ebenfalls sehr kleine und uralte Lokal kriechen muss. Die Atmosphäre ist herrlich, das Essen sehr gut. Zudem gibt es hier eine phantastische, hausgemachte Nusstorte.
Glurns
Während es in der Nordschweiz noch immer in Strömen regnen soll, wird hier das Wetter immer schöner und wärmer. Wie fahren weiter das Tal hinunter, überqueren die Grenze ins Südtirol und kommen am Eingang des Vintschgaus zum kleinen mittelalterlichen Städtchen Glurns.
Da uns die vorher genossene Nusstorte einen kräftigen Durst beschert hat, machen wir hier eine kurze Pause und sehen uns auch gleich noch den Ort mit  seinen Stadtmauern und Türmen an.
Obwohl Motorradstiefel nicht gerade ideal zum Spazieren sind, tut es gut, ein paar Schritte zu gehen und die Beine ein wenig zu lockern.


Bei dem schönen und inzwischen sehr warmen Wetter bummeln wir nun gemütlich das Vinschgau hinunter in Richtung Meran.
In Naturns steht der übliche Stau an der Ampel im Dorfzentrum; bei dieser Temperatur ist das Warten natürlich entsprechend schweisstreibend...als Trost sehen wir rechts oben - hoch über dem Tal - bereits die weissen Gebäude des Gasthofes NiederhofNiederhof, wo wir für zwei Nächte Unterkunft beziehen werden.
In Partschins/Töll zweigen wir rechts ab und überqueren die Brücke über die Etsch. Gleich jenseits des Flusses steigt die kleine Strasse steil und kurvig in den Wald hoch. Wir folgen dem Wegweiser ‘Quadrat’, denn der Niederhof ist der unterste der sogenannten Quadrathöfe.
Bereits zwei Jahre zuvor haben wir hier ein paar Tage verbracht, und es hat uns so gut gefallen, dass wir auch diesmal wieder hier gebucht haben.
Christine und Reinhard Abler, welche uns inzwischen gute Freunde geworden sind, führen diesen Gasthof und haben ein richtiges Paradies geschaffen. Christine ist Bäuerin und Wirtin, Reinhard Bauer und Koch. Auf dem Hof trifft man neben Milchkühen und Schweinen auch die Haflingerstute ‘Assi’ an sowie freilaufende Hühner, Truthennen, Enten und Gänse. Als letztes tauchen noch ein paar Katzen und ein Hofhund auf.

Kaum sind wir angekommen, zieht bereits ein bedrohliches Gewitter auf. Christine macht uns auf dem Hof einen Unterstand frei, damit wir die Motorräder trocken unterbringen können. Nach einer wohltuenden Dusche und Klamottenwechsel haben wir nun ein Bier verdient. Da das Gewitter doch noch auf sich warten lässt, setzen wir uns in die Gartenwirtschaft. Diese ist lauschig angelegt mit alten Holztischen unter Nussbäumen. Der Garten ist ein prächtiges Blumenmeer, dazu geniesst man die Aussicht über das ganze Tal.
Da wir für den nächsten Tag keine festen Pläne haben, können wir am Abend etwas länger sitzen bleiben und auch den roten Burggräfler geniessen.
Schlummertrunk auf dem Zimmer: je 1 grosser Chivas aus dem Zahnputzglas...

Bilanz 4.Tag:
8 Stunden Fahrt, 305 km, 2 Pässe.

5. Tag: Fauler Morgen, kurviger Nachmittag

In der Nacht ist das angekündigte Gewitter doch noch gekommen; Gott sei Dank sind die Motorräder unter Dach. Am Vormittag faulenzen wir etwas auf dem Zimmerbalkon, denn das Wetter ist bereits wieder schön. Um die Mittagszeit beschliessen wir, nur mit der Yamaha eine kleine Passrunde zu fahren. Über Meran geht es durchs Passeiertal nach St. Leonhard und über den Jaufenpass (2’094 m.ü.M.), ein herrliches Geschlängel von kleinen Kurven. Kurz vor Sterzing biegt rechts die Strecke ab zum Penser Joch (2’211 m.ü.M.) hinauf, wo wir auf der Passhöhe eine kurze Pause machen. Als wir auf den Parkplatz zurückkommen, ist die Yamaha von Kühen so eng eingekreist, dass sie bedrohlich auf dem Seitenständer wackelt. Wir verscheuchen die Kühe und “befreien” das Motorrad. Ein Einheimischer erklärt uns, dass die Kühe manchmal vom glänzenden Chrom angezogen werden und sich deshalb für die Auspufftöpfe interessieren. Ist ja noch mal gut gegangen...
Das Sarntal hinunter und durch die berüchtigten 24 Tunnel bis nach Bozen nehmen wir es gemütlich, da ich ja das Motorrad auf der aufgerillten Strasse nicht hinwerfen will. In Bozen testen wir einen Tipp und suchen die Strasse beim Spital vorbei. Unerwartet schnell sind wir aus der Stadt raus und auf der alten Weinstrasse Richtung Meran; diese Route müssen wir uns also merken!

Bilanz 5.Tag:
145 km nur mit der Yamaha, 2 Pässe

6. Tag: Der erste Hitchcock - Rebecca

Nach einem ausgiebigen Frühstück mit Aufschnitt, Käse und Apfelstrudel packen wir unsere wenigen Sachen zusammen, denn heute ist wieder eine längere Etappe geplant. Als wir jedoch unsere Motorräder aus dem Unterstand holen wollen, sind diese von den Truthennen besetzt, welche die Sättel als Nachtlager ausgesucht haben. Erst nach längerem Gezeter bequemen sie sich, uns unsere Maschinen wieder zu überlassen.
Die Strasse nach Meran führt einer Felswand entlang hinunter zur ‘Forst’-Brauerei. Dort biegen wir rechts ab über das Gampenjoch (1’512 m.ü.M.) nach Fondo, und über den Mendelpass gelangen wir ins Weingebiet um Kaltern. Wir bummeln auf der Weinstrasse durch die herrliche Gegend am Kalterer See und suchen in Auer die Einfahrt ins Val di Fiemme, welches uns über Cavalese und Moena nach Canazei führt, direkt am Fuss der Dolomiten.
GrödnertalUnsere Fahrt durch die Dolomiten beginnt mit dem Sellajoch (2’237 m.ü.M.), für mich landschaftlich immer noch der schönste Dolomitenpass, dann über das Grödnerjoch (2’121 m.ü.M.) und den Passo di Campolongo (1’875 m.ü.M.). Inzwischen sind wir beide mit dem Benzin auf Reserve, aber die rettende Tankstelle lässt noch auf sich warten; wir beschliessen deshalb, die Strecke den Campolongo hinunter zu bummeln, von Zeit zu Zeit mal ein wenig auf der Kupplung zu rollen und Treibstoff zu sparen. So schaffen wir es mit viel Glück bis nach Arabba, einem kleinen Dorf mitten zwischen den hohen Dolomiten. Hier finden wir auch glücklich eine Tankstelle und können nun den letzten Pass in Angriff nehmen, den Passo di Falzarego (2’105 m.ü.M.).
Auf dessen Passhöhe zweigen wir ab links hinunter Richtung Grödnertal, welches nach den Felsen der Dolomiten mit seinen sanften grünen Hügeln richtig beschaulich wirkt.
Das Grödnertal hinunter herrscht enorm viel Verkehr, und schon bald hängen wir hinter einem grossen deutschen Reisecar, welcher - oh Schreck - mit ‘Freiwillige Feuerwehr Ulm’ beschriftet ist. Und tatsächlich scheint die deutsche Feuerwehr keine Motorräder zu mögen, denn bei jedem Überholversuch rutscht der Bus sofort an den linken Fahrbahnrand, und wir brauchen ein paar Kilometer (und einen Stinkefinger), bis wir ihn endlich hinter uns lassen können.
TannenhofBruneck ist nun fast erreicht, und wir machen uns auf die Suche nach der Pension Tannenhof in Reischach, wo wir für die Nacht gebucht haben, und finden sie auch sofort.
Die kleine schwarzhaarige Chefin, welche uns begrüsst, sieht aus wie die strenge Rebecca im Film von Hitchcock, und sieht uns auch entsprechend grimmig an. Dazu trägt sie allerdings schreckliche, bunte Filzpantoffeln. Das Hotel ist topmodern mit Tiefgarage und Chipkarten für alle Türen. Die Chefin macht uns gleich darauf aufmerksam, dass das Nachtessen um 18:30 Uhr serviert werde.
Nach einer erfrischenden Dusche ziehen wir uns um und machen uns so um 18:40 Uhr auf zum Abendessen. Der Speisesaal ist gut besetzt, vor allem mit älteren Leuten, aber alle sitzen ohne Essen schweigend da und sehen uns strafend an, als wir reinkommen. Kaum haben wir uns gesetzt, ruft die Chefin zur Küche hinüber: ‘Jetzt sind endlich alle da!’. Wir bekommen rote Köpfe, denn anscheinend hat man mit dem Essen nur auf uns warten müssen; es ist dann aber bestimmt ein Zufall, dass wir als einzige am Schluss keinen Dessert bekamen.
Nach dem Essen flüchten wir dann gleich auf’s Zimmer und trösten uns mit einem grossen Chivas, wie immer aus dem Zahnputzglas.

Bilanz 6.Tag:
8 Stunden Fahrt, 263 km, 6 Pässe

7. Tag: Der zweite Hitchcock - Norman Bates

Bei schönstem Wetter - in der Schweiz soll es nach wie vor regnen, in Meran und in Innsbruck inzwischen auch - starten wir am Sonntagmorgen, fahren bei sehr wenig Verkehr durch das Pustertal hinunter und über die Grenze nach Österreich. Kurz nach dem Zoll biegen wir rechts ab ins wunderschöne Lesach-Tal. Die ganze Fahrt durch das stille Tal werden wir begleitet vom Läuten der Kirchenglocken, welche die Sonntagsmessen ankündigen - ein eigenartiges Gefühl. Nach etwa 50 km finden wir links die Einfahrt auf den Gailbergsattel und hinüber ins Drau-Tal. Hier ist die Strasse grosszügig ausgebaut, und wir brausen Richtung Spittal.
Nach einer kurzen Mittagspause in Greifenburg versuchen wir, an der Turracher HöheTauernautobahn und an der Stadt Spittal vorbei den Weg zum Millstätter-See zu finden, was uns nach ein paar kleinen Irrwegen auch gelingt. Der See liegt in einem kleinen Hochtal, eingebettet zwischen grünen Hügeln, und lädt uns zu einer Pause ein. Nach einem genüsslichen Aufenthalt am Seeufer geht die Fahrt weiter, und wir nähern uns nun dem östlichsten Punkt unserer Tour, der Turracher Höhe (1’763 m.ü.M.).

Die Turracher Höhe ist mit 23% Steigung die steilste Passstrasse in den Alpen. Die Strasse ist jedoch neu so breit ausgebaut, dass man kaum merkt, wie steil der Anstieg ist, und so brausen wir recht locker zur Passhöhe hinauf. Auf der anderen Seite geht es fast genauso steil wieder hinunter; da ausser ein paar weiteren Motorradfahrern kaum Verkehr herrscht, bummeln wir gemütlich Richtung Preditz und ins Lungau hinein nach Tamsweg. Hier haben wir im Hotel Kandolf für die Nacht gebucht.

Wappen KandolfNach kurzer Suche haben wir das Hotel - einen wuchtigen mittelalterlichen Bau - gefunden und werden vom recht zappeligen Besitzer begrüsst. Sein Auftreten erinnert uns an Norman Bates in Hitchcocks ‘Psycho’. Bar und Restaurant sind mit dicken roten Kordeln geschlossen und sehen aus, wie wenn sie noch nie geöffnet gewesen wären. Unser Zimmer liegt im zweiten Stock; im ersten Stock, durch welchen man natürlich jedes Mal gehen muss, wohnt der Hausherr selber. Das ganze Stockwerk ist mit dicken Teppichen ausgelegt, so dass man keinen Schritt hört. Der Hausherr taucht öfters lautlos auf und verschwindet wieder, wobei er jede Türe sorgfältig hinter sich wieder abschliesst. Ob die Zimmer wohl gruselige Geheimnisse bergen?
Da das Hotel keine warme Küche bietet, empfiehlt uns der Chef eine Pizzeria im Ort, wo wir dann eine ausgezeichnete Pizza geniessen. Nach einem kurzen Bummel durch den Ort ziehen wir uns leise aufs Zimmer zurück. Der wohlverdiente Abschluss des Tages: ein grosser Chivas aus dem Zahnputzglas...

Bilanz 7.Tag:
8 Stunden Fahrt, 271 km, 1 Pass.

8. Tag: Wo ist der Königssee?

Beim Frühstück ist ‘Norman Bates’ nirgends zu sehen, dafür eine mollige, sehr nette Dame, die seine ‘Schwester’ sein soll [Anmerkung: ein paar Wochen nach der Tour bekommen wir eine EMail, in welcher die Heirat der zwei angekündigt wird...].
Wir brechen zeitig auf, denn heute steht die längste Etappe unserer Tour an. Erneut scheint bei uns die Sonne, während es sonst in ganz Mitteleuropa regnet. Wir scheinen das Wetterglück wirklich gepachtet zu haben - hoffentlich hält das auch an...
Am Montagmorgen herrscht wenig Verkehr. Wir kommen zügig vorwärts und fahren über den Radstätter Tauernpass (1’739 m.ü.M.) in Richtung Salzburg.
BerchtesgadenIn Hallein suchen wir - zuerst vergeblich - den Übergang ins Berchtesgadener Land und nach Deutschland. Hier erwartet uns eine imposante Berglandschaft, aber auch enorm viele Touristen, sodass man auf den Strassen kaum vorwärtskommt. Unser Vorhaben, den Königssee zu besuchen, geben wir nach einiger Wartezeit in der Autokolonne zur Zahlstelle wieder auf. Wir fahren dafür eine Runde auf der hoch über dem Tal geführten Strasse, wo uns die herrliche Aussicht für den verpassten Königssee mehr als entschädigt. Obwohl man den Gedanken an die von Adolf Hitler hier geplante Alpenfestung nie ganz verliert, bleibt das Berchtesgadener Land ein unvergessliches Erlebnis.

In recht dichtem Verkehr geht es nun weiter über Berchtesgaden und Ramsau in Richtung Steinpass und österreichische Grenze. Wir wählen die Strecke über Saalfelden und Zell am See und wenden uns dann nach Westen ins Pinzgau.

Gasthof GrüblWir sind nun von der langen Fahrt schon etwas kaputt, und im starken Feierabendverkehr müssen wir - immer die Sonne im Gesicht - recht kämpfen, um einigermassen konzentriert zu bleiben. Inzwischen tauchen am Horizont allerdings auch massive schwarze Wolken auf - unser Wetterglück könnte wohl bald vorbei sein.
Als Nachtlager haben wir ‘unseren’ Gasthof Grübl in Wald im Pinzgau ausgesucht. Dort anngekommen, erfahren wir, dass Frau Kaiser ihre Pensionierung im Moment mit einer Amerika-Reise feiert. Ihre nette Tochter, welche in dieser Zeit den Gasthof führt, dämpft jedoch unsere Enttäuschung.
Nach einem deftigen Wiener Schnitzel geht es mit müden Knochen ab in die Federn - jedoch nicht ohne einen verdienten Schluck Chivas aus dem Zahnputzglas.

Bilanz 8.Tag:
9 Stunden Fahrt, 326 km, 2 Pässe

9. Tag: Doch noch ein nasser und kalter Tag - mit Schnee

Als wir am Morgen aufstehen, regnet es in Strömen. Das nasse Wetter, dem wir bis jetzt glücklich ausgewichen sind, hat uns also nun doch noch erwischt. Nach dem ausgiebigen Frühstück packen wir uns in unsere Regenkombis. Wie haben wir mal gelernt: “Es gibt kein schlechtes Wetter, nur schlechte Kleider” - na ja, fürs Motorradfahren wird es wohl trotzdem etwas garstig.
Im strömenden Regen machen wir uns auf Richtung Gerlospass (1’507 m.ü.M.). Die holprige und schmale Strasse ist recht glitschig, entsprechend vorsichtig nähern wir uns der Passhöhe. Es wird immer kälter, und es beginnt nun sogar zu schneien. Auf dem Pass liegen etwa 2 cm Schneematch. Wir rollen wie auf Eiern durch den Schnee, während uns fast die Finger abfrieren. Jetzt würden wir sogar gegen ein geheiztes Auto tauschen... Ohne Schaden schaffen wir es jedoch in die tieferen Lagen des Gerlostales und erreichen Zell am Ziller, wo wir uns mit einem Kaffee etwas aufwärmen.
Weiterhin im Dauerregen fahren wir nun das Zillertal hinunter, dem Achensee entlang und über den Achenpass (941 m.ü.M.) hinüber nach Deutschland.
Richtung Tegernsee regnet es wenigstens nicht mehr, allerdings ist es immer noch recht kalt. Kurz vor Bad Tölz beginnt es wieder zu regnen, also flüchten wir ins nächste Lokal. Allerdings haben wir wohl ein ziemlich nobles Haus erwischt, und wir wollen mit unseren triefenden Kombis schon umkehren. Der Kellner ruft uns jedoch zurück und bietet uns - ohne mit der Wimper zu zucken - die gediegenen Louis-XV-Stühle an. Wir nehmen das Angebot an und bleiben dafür zum Dank etwas länger.Seefelderhof

Die nächsten 10 km rollen wir bei leichtem Nieselregen im dichten Verkehr über Penzberg in Richtung Weilheim und Ammersee. Kurz nach Penzberg klart es plötzlich auf, und wir fahren bei herrlichem Sonnenschein die letzten Kilometer nach Utting am Ammersee. Hier in Utting war ich in den 60er Jahren mit meinen Eltern mehrmals zum Camping, und im Hotel Seefelderhof oben im Dorf bestand mein Vater damals jeweils immer auf seiner Schweinshaxe am ersten Urlaubstag.

Nach dem deftigen Abendessen machen wir einen Spaziergang zum See, und es gefällt uns hier so gut, dass wir beschliessen, wieder mal hierher zu kommen. Ein gemütlicher Abend am Stammtisch mit den Wirtsleuten und ein paar lustigen Einheimischen bestärkt uns noch in diesem Entschluss.


Auf dem Zimmer vernichten wir auch den letzten Schluck aus unserer Chivas-Flasche, dafür zum Abschluss erstmals aus richtigen Gläsern.

Bilanz 9.Tag:

9 Stunden Fahrt, 260 km, 2 Pässe.

10. Tag: Nochmals zurück in die Berge

In der Nacht hat es doch noch geregnet. Das Wetter ist kühl, der Himmel tief verhangen, und die Strassen sind nass. Wir montieren deshalb zur Sicherheit unsere Regenkombis.
Für die Strecke über den Ammersattel und durch’s Lechtal haben wir bei diesen Bedingungen keine Lust und fahren über Garmisch-Partenkirchen zum Fernpass (1’209 m.ü.M). Hier ist die Strasse wenigstens trocken, aber als wir uns Landeck nähern, sehen wir die schneebedeckten Hänge am Arlberg. Wir  entschliessen uns, auf den Arlbergpass zu verzichten und dafür ein paar Schilling für den Arlbergtunnel zu investieren.
Kurz nach dem Tunnel geht’s links ab ins Montafon. Hier stehen die Radargeräte dichter als die Bäume, also fahren wir schön brav und korrekt nach St. Gallenkirch und hinauf nach Gargellen, wo wir im Alpenhotel Heimspitze für zwei Nächte reserviert haben.
Eigentlich ist dieses Hotel für “gewöhnliche” Motorradfahrer viel zu gediegen, und man wird von manchen Gästen auch etwas schief angesehen. Susis Familie hat jedoch in den letzten Jahren einige Urlaube hier verbracht, und so sind wir bei der Familie Thoeny auch als Biker willkommen. Der Junior-Chef räumt sogar seine Schneeschleuder aus der Garage, damit wir unsere Motorräder trocken unterstellen können.
Am Abend geniessen wir die beste - allerdings auch die teuerste - Küche der ganzen Tour. Das Essen hier ist nicht zu unrecht weit herum berühmt.

Bilanz 10.Tag:
7 Stunden Fahrt, 254 km, 1 Pass

11. Tag: Pause auf dem Schafberg

Am Morgen erwartet uns ein riesiges Frühstücksbuffet, wie man es nur selten erlebt.
Für den heutigen Tag haben wir eine sonnige Pause in Gargellen eingeplant, mit der Sonne will es allerdings nicht klappen. Es ist recht kühl, und der Himmel ist tief wolkenverhangen. Wir beschliessen deshalb, mit der Gondelbahn auf den Schafberg zu fahren; vielleicht ist dort oben das Wetter besser. Auf dem Gipfel angekommen, stehen wir im Schnee, und es ist noch deutlich kälter, aber nicht viel klarer als im Tal.
Darum flüchten wir ins Schafberghüsli, das moderne und Gott sei Dank geheizte Gipfelrestaurant, und bewundern die mit Schnee überzuckerten Berge durch das Panoramafenster. Dazu geniessen wir eine deftige Hauswurst.
Gleichzeitig freuen wir uns auf das Abendessen in der Heimspitze, denn am Donnerstag gibt es immer das legendäre ‘Schmankerl-Menü’, welches aus etwa acht leckeren Gängen besteht. Wieder im Hotel angekommen, erfahren wir jedoch, dass das Schmankerl auf den Samstag verschoben wurde, da dann eine grosse Gesellschaft eintreffe.
Unsere Enttäuschung hält nicht lange an, denn auch heute geniessen wir wieder ein herrliches “normales” Abendessen und gönnen uns eine gute Flasche Barbaresco dazu.

Bilanz 11.Tag:
800 m Höhendifferenz per Luftseilbahn, Motorräder am Trockenen

12. und letzter Tag: Heimwärts trotz fehlendem Heimweh

Als wir am Morgen aufstehen, giesst es draussen in Strömen. Wir beeilen uns deshalb nicht, sondern genehmigen uns in Ruhe ein ausgiebiges Frühstück. Leider scheint sich das schlechte Wetter zu halten, also müssen wir wohl oder übel gegen Mittag aufbrechen.
Wir fahren im Regen schön langsam und vorsichtig - wir wollen ja nicht am letzten Tag noch das Motorrad auf die Strasse werfen - in Richtung Schruns und Feldkirch. Als wir im Rheintal ankommen, hellt sich das Wetter wunderbar auf. Wir wählen deshalb die Strecke durch das Appenzellerland und geniessen die engen und kurvigen Strassen bei warmem Sonnenschein.
In Gais legen wir eine Pause in einem winzigen Café ein und plaudern ein wenig mit der lustigen alten Dame, welche das Lokal führt. Draussen wird es nun allerdings wieder ziemlich düster, also brechen wir auch bald wieder auf und kurven nach Hundwil hinunter. Hier geraten wir in ein so heftiges Gewitter, dass wir beschliessen, in Richtung Herisau und direkt auf die Autobahn zu fahren - nix wie auf dem schnellsten Weg nach Hause!
Das Gewitter und der heftige Regen begleiten uns den ganzen Weg bis nach Fällanden. So sind wir am Schluss triefnass und ziemlich kaputt, aber doch zufrieden wieder zu Hause.

Bilanz 12.Tag:
5 Stunden Fahrt, 190 km

Zurück